DEUTSCHLAND VERÄNDERN
woodify pachtet Waldflächen – und überlässt sie dann weitgehend sich selbst. Aus Nutz- werden so Klimawälder, die zusätzliches Treibhausgas binden. Damit wiederum können Unternehmen, die von woodify Zertifikate erwerben, dem Klima für ihren unvermeidbaren CO2-Ausstoß etwas zurückgeben. Das Bonner Start-up hat sich viel vorgenommen.
Der Bus erreicht den Waldparkplatz in der Nähe von Alfter. Die 45 Beschäftigten der Zukunft GmbH steigen aus und schultern ihre Rucksäcke. Nach einer kurzen Begrüßung durch Dr. Anselm Schneider, der die Gruppe begleiten wird, geht‘s los zum Betriebsausflug in den Wald. Aber nicht in irgendeinen Wald. Sondern in den Firmenwald der Zukunft GmbH. Bei einer zweistündigen Wanderung erfahren die Mitarbeitenden des mittelständischen Betriebs viel über Wälder, Forstwirtschaft und mangelnde Nachhaltigkeit. Und darüber, was in „ihrem“ Wald anders ist.
Die Zukunft GmbH und „ihren“ Firmenwald gibt es nicht. Noch nicht, muss man hinzufügen, denn wenn es nach Dr. Anselm Schneider geht, werden bald mehr und mehr Unternehmen den Charme eines „eigenen“ Waldes für sich entdecken und durchaus auch mal die Belegschaft durch den „eigenen“ Wald führen. Schneider ist einer der Gründer und Geschäftsführer der woodify GmbH in Bonn. Wie seine Mitgründer Marc Weppler, Nils Reinhardt und Björn Clüsserath ist er überzeugt davon, dass der Klimawandel eine der größten Herausforderungen der Menschheit ist und wir alle deshalb unsere Art zu leben und zu wirtschaften grundlegend umgestalten müssen. Neu gedachte Klimaprojekte vor der Haustür gehören dazu.
Über die École de Gaulle-Adenauer in Bonn-Mehlem, die ihre Kinder besuchten, lernten sich die vier kennen. Alle arbeiteten in großen Unternehmen und Institutionen, Schneider etwa bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Und alle einte die Idee, gemeinsam ein eigenes Unternehmen zu gründen, das Verantwortung übernimmt und innovative Angebote macht. Bald kamen sie auf das Thema Wald.
Viel Wald, wenig naturbelassen
Deutschland ist ein relativ waldreiches Land, etwa ein Drittel der Fläche ist bewaldet. Aber: Laut Schneider sind nur rund drei Prozent der gesamten Waldfläche wieder naturbelassen, einen echten Urwald gibt es in Deutschland nirgends mehr. 97 Prozent werden durchgehend durch den Menschen geformt, der größte Teil davon wird holzwirtschaftlich genutzt. „Dabei hat der Wald viel Widerstandskraft verloren“, beklagt Schneider. Die aktuelle Waldzustandserhebung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft bestätigt das. „Die Bäume in deutschen Wäldern leiden stark unter den Folgen der Klimakrise“, heißt es darin. Sie sind geschwächt, vier von fünf Bäumen gelten als krank.
Dabei spielen die Wälder eine elementare Rolle im Kampf gegen den Klimawandel, denn sie binden CO2. woodify hat sich deshalb vorgenommen, Nutzwald in naturbelassenen Wald zurückzuverwandeln, zu „verurwalden“. „Denn ein naturnaher Wald bindet messbar zusätzliches CO2, speichert mehr Wasser, kühlt stärker sein Umland und ist widerstandsfähiger gegen steigende Temperaturen und Trockenheit“, argumentiert Schneider. Dabei setzt er auf die Expertise von Professor Pierre Ibisch und seinem Forscherteam von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde, der als wissenschaftlicher Partner mit im Boot ist und als einer der bedeutendsten Waldökologen in Deutschland gilt.
Die Forscher haben unter anderem Modelle entwickelt, wie sich die Kohlenstoffbindungskraft eines Waldes – eine seiner Ökosystemleistungen – bemessen lässt. Das ist wichtig für das woodify-Geschäftsmodell. Denn woodify pachtet Waldstücke in der Regel für 30 Jahre und nimmt diese Flächen aus der konventionellen Nutzung. Keine Holzwirtschaft mehr. Die Bäume bleiben stehen, die Böden werden nicht mehr durch schwere Maschinen verdichtet, Totholz wird nicht entfernt, die Rückegassen wachsen zu. Das ist auch gut in Sachen Waldbrandgefahr. „Totholz saugt Feuchtigkeit auf und wirkt wie eine Brandbremse, sobald es am Boden liegt“, erläutert Schneider. Ein biomassereicher naturbelassener Mischwald habe mehr Schatten, mehr Feuchtigkeit und eine niedrigere Temperatur und brenne viel schlechter als etwa eine Fichtenmonokultur. „Es entsteht ein Klimawald“, erklärt Schneider, „der der Atmosphäre mehr CO2 entzieht, als wenn er weiter für Holz bewirtschaftet würde.“ woodify greift nur noch ein, wo es notwendig ist, etwa um Fließgewässer und Wanderwege freizuhalten. Mehr nicht. „So kann der Wald wieder Kraft gewinnen und immer mehr seine Leistungskraft entfalten“, sagt Schneider.
Bis dato konnten er und seine Mitstreiter zwei große Waldstücke unter Vertrag nehmen, je rund 350 Hektar an der Loreley sowie bei Gummersbach. Ein drittes Projekt an der Mosel wurde Mitte Juni unterzeichnet.
Einnahmen durch CO2-Zertifikate
Dies ist die Kostenseite des Geschäftsmodells. Seine Einnahmen generiert woodify, indem es die zusätzliche Kohlenstoffbindung der Projektwälder verkauft. Und zwar an Unternehmen, die nachhaltiger werden und ihren CO2-Fußabdruck deutlich senken wollen. Jede Firma, die es ernst meint, sucht zunächst nach Möglichkeiten, um den eigenen Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Um erfolgreich zu wirtschaften, lässt sich der CO2-Ausstoß aber nicht auf null bringen, ein Rest bleibt fast immer. „Für diesen kann ein Unternehmen mit CO2-Zertifikaten von woodify dem Klima etwas zurückgeben“, erklärt Schneider.
In dem Waldstück bei Gummersbach werden beispielsweise innerhalb von 30 Jahren 86.000 Tonnen CO2 zusätzlich gebunden. Nach Abzug eines Sicherheitspuffers von 20 Prozent bleiben rund 69.000 Tonnen zusätzliche CO2-Bindung, die woodify in Form von Zertifikaten verkauft. Davon finanziert das Start-up wiederum die Pacht an die Waldbesitzer, die hoch genug sein muss, damit diese sich für woodify und gegen die herkömmliche Nutzung entscheiden.
Die Vorteile für Firmen, die bei woodify CO2-Zertifikate erwerben: „Der deutsche Wald muss unbedingt geschützt und gestärkt werden, denn er übernimmt für unser Klima eine immense Funktion“, argumentiert Schneider. „Mit unseren Zertifikaten unterstützen hiesige Firmen den Klimaschutz direkt vor ihrer Haustür, nachprüfbar und wissenschaftlich begleitet.“
Und sie können durchaus von „ihrem“ Firmenwald sprechen, denn die geschützte Fläche wird dem Unternehmen zugeordnet. „Warum also nicht den nächsten Betriebsausflug in den Wald unternehmen, den man ausdrücklich unterstützt?“, empfiehlt Schneider. „Und werben kann man mit dieser Unterstützung auch, ein echtes Alleinstellungsmerkmal.“
Vier Jahre nach der Gründung schreibt woodify bereits schwarze Zahlen. Allerdings schenken die vier Gründer dem Unternehmen noch ihre Leistung, sie zahlen sich derzeit keine Gehälter aus, sondern arbeiten noch weiter in ihren Berufen. Das bedeutet volle Tage – aus Sicht der Gründer gut investierte Freizeit. Drei bezahlte Angestellte gibt es aber bereits. „Unser Ziel ist Wachstum, denn das Klima braucht große Ansätze“, stellt Schneider klar. Dabei werde man von den zusätzlichen Erlösen zunächst weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen, danach würden die vier Gründer ins eigene Unternehmen wechseln, sobald dieses tragfähig genug ist.
„Beim Thema Wald muss man halt einen langen Atem haben, wer schnell Geld verdienen möchte, muss etwas anderes machen“, stellt Schneider klar. woodify verstehe sich als Impact-Unternehmen. „Wir wollen Deutschland verändern“, sagt der Gründer und Geschäftsführer, „nicht von heute auf morgen, aber systematisch und nachhaltig.“
Von Lothar Schmitz
Erschienen in DIE WIRTSCHAFT 04/23, Bonn
(Quelle: DIE WIRTSCHAFT, Seite 24-26)