„Ein Preis, der die Interessen aller berücksichtigt“
Seit über 30 Jahren steht die LANDWEGE eG in Lübeck für Kooperationen zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Und für eine andere Art des Wirtschaftens. Eine Landpartie mit Vorstand Tina Andres.
Der Zug nähert sich dem Lübecker Hauptbahnhof. Ankunft in der Stadt des Marzipans. Der Stadt der Hanse. Und der Stadt eines bemerkenswerten Netzwerkes. Nicht so weltumspannend wie die Hanse vor einigen Jahrhunderten, dafür jedoch mit dem Anspruch, die Region hier ein Stück besser zu machen. Einen kurzen Fußweg hinter dem Bahnhof hat es seinen Sitz. Aus einem Gebäude mit schöner Jugendstilfassade steuern Tina Andres und Klaus Lorenzen, sie seit 14, er seit 26 Jahren, die Geschicke EVG Landwege eG. Die beiden bilden den geschäftsführenden Vorstand der Genossenschaft und damit eines Unternehmens mit fast 140 Beschäftigten und Millionenumsatz. Es betreibt in Lübeck und Bad Schwartau fünf Biomärkte, eine Verarbeitungsküche und seit Anfang 2019 die Biobäckerei Freibackhaus auf der Lübecker Altstadtinsel. LANDWEGE eG ist in vielerlei Hinsicht ein typischer mittelständischer Betrieb. In wesentlicher Hinsicht aber auch nicht. Davon handelt diese Geschichte.
Ab aufs Land — und ins Jahr 1987
Tina Andres hat mich zu einer Landpartie eingeladen. Nach knapp fünf Kilometern biegen wir links auf einen unbefestigten Weg ab, ein Schild weist zum Ringstedtenhof. Andres parkt den weißen Kleinwagen mit dem grünen Logo von StattAuto Carsharing zwischen einem Schafstall, den gerade einige Schulkinder ausmisten, und einer großen, zu Büro- und Lehrräumen umgebauten Scheune. Die Schafe blöken, die Kinder lachen, die Sonne scheint. Verabredet sind wir mit Christoph Beckmann-Roden. Der ist Aufsichtsratsvorsitzender der LANDWEGE eG und Geschäftsführer des LANDWEGE e. V., der hier einen Jugend-Naturschutzhof betreibt. Beckmann-Roden gründete den Verein gemeinsam mit sieben weiteren Lübecker*innen 1987. Ein Jahr später half er dabei, eine Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft aus der Taufe zu heben. Verein und Genossenschaft gehen bis heute gemeinsame Wege. Diese Wege führen unter anderem zur Hofgemeinschaft Gut Rothenhausen, unserer nächsten Station. Beckmann-Roden, der im Aufsichtsrat die Verbraucherseite vertritt, zwängt sich auf den Rücksitz und erzählt von den Anfängen, während Andres die zehn Kilometer nach Rothenhausen fährt, das bereits im Herzogtum Lauenburg liegt. „Nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl 1986 haben wir uns gefragt, wie es mit unserer Ernährung eigentlich weitergehen soll“, sagt Beckmann-Roden. Schnell sei man auf die Idee einer Gemeinschaft aus Erzeugern und Verbrauchern gekommen (abgekürzt: EVG). „Denn wir wollten gesunde Nahrungsmittel aus der unmittelbaren Region“, fährt er fort, „wir wollten wissen, wo unsere Nahrung herkommt.“
Landwege eG: Gemeinsam, gleichberechtigt — und anstrengend
Aus acht an einer ökologischen Alternative interessierten Bürgerinnen und Bürgern wurden im Laufe der Jahre rund 830 Mitglieder. „Und es werden immer mehr“, freut sich Tina Andres. Außerdem sind einige Angestellte sowie 30 Biohöfe Mitglied. Die meisten Höfe liegen im Umkreis von 30 Kilometern rund um Lübeck. So wie Gut Rothenhausen. Dort erwarten uns schon Philipp Hennig und Ralph Seckler. Wir setzen uns an einen großen Holztisch vor dem Hofladen.
Fünf Familien bilden die Demeter-Hofgemeinschaft Gut Rothenhausen, zehn Erwachsene und derzeit ein Dutzend Kinder. Sie bewirtschaften rund 100 Hektar und treffen alle Entscheidungen gemeinsam, gleichberechtigt. Das klingt anstrengend — und ist es auch. „Das Soziale ist viel anspruchsvoller als das Fachliche“, gibt Hennig zu. Doch die gemeinsamen Überzeugungen wiegen schwerer als individuelle Eitelkeiten. „Deshalb klappt’s.“
Für den Hof gilt dasselbe wie für die Genossenschaft: „Natürlich müssen wir schauen, dass es betriebswirtschaftlich läuft“, betont der Landwirt, „aber bei uns steht nicht Gewinnmaximierung im Vordergrund, sondern Gemeinwohlorientierung.“
Dass so viele Menschen — nämlich nicht nur die Familien, sondern auch rund 20 Beschäftigte — von dem Ertrag des Hofes leben können, hat damit zu tun, dass viel Wertschöpfung auf dem Hof selbst geschieht. So werden in der eigenen Käserei und Bäckerei die Grundprodukte des Hofes veredelt. Verkauft werden dann Joghurt, Käse und Brot statt Milch und Getreide. Über den Hofladen, einen eigenen Lieferservice — und die fünf Biomärkte der Genossenschaft, die 30 Prozent ihres Umsatzes mit Produkten aus der unmittelbaren Region machen. „So erzielen wir eine viel höhere Marge, als wenn wir nur die Rohstoffe verkaufen würden“, erklärt Seckler.
Die Preisfrage: Verantwortung übernehmen
Es hat auch viel mit der LANDWEGE eG zu tun. Für die Genossenschaft ist, wie für die allermeisten Unternehmen, der Preis das Maß der Dinge. Aber in einem gänzlich anderen Sinn als bei den allermeisten Unternehmen. „Der Hof sagt, wie viel er zum Beispiel für seinen Joghurt bekommen muss, damit sich die Herstellung rentiert“, erklärt Andres. „Wir wissen, was die Verbraucher für einen ökologisch erzeugten Joghurt auszugeben bereit sind. Und dann finden wir gemeinsam einen Preis, der die Interessen aller berücksichtigt!“
„Angemessen“ ist ein Wort, das in dem langen Gespräch oft fällt. „Vertrauen“ und „Transparenz“ sind zwei weitere. Und „Mitverantwortung“. „Die übernehmen die Menschen, die in unseren Läden einkaufen, aber vor allem die, die sich entschieden haben, die Genossenschaft als Mitglied zu unterstützen“, sagt Andres. „Das ist Wertschätzung für das Produkt und die Menschen, die es erzeugen, sie wollen nachvollziehen und mitentscheiden, wo ihre Nahrung herkommt.“
Wir fahren zurück in die Zentrale und nehmen noch mal Platz im Besprechungsraum. „Die Form der Genossenschaft ermöglicht uns, das, was uns gemeinsam antreibt, auf Augenhöhe miteinander voranbringen zu können“, sagt dort Klaus Lorenzen. Dann kommt er auf die GLS Bank zu sprechen. „Für unsere Geschäftsbeziehung gilt im Grunde das Gleiche“, fährt er fort, „die Bank hat immer verstanden, worauf es uns ankommt, und uns bei allen wichtigen Entwicklungen unterstützt. Umgekehrt lud der Vorstand Tina Andres vor einigen Monaten zu seiner Klausurtagung ein, um sich mit ihr über das Erfolgsrezept der Genossenschaft auszutauschen.“
Die LANDWEGE eG ist in Lübeck und Umgebung zur Marke geworden. „Und zum ökologischen Aushängeschild der Region“, sagt Andres zum Abschied. „Wir werden wahr- und ernstgenommen und sind bundesweit eines der wenigen ökologischen Modelle echter gelebter Regionalität!“
Ein kleiner Umweg zurück zum Hauptbahnhof führt vorbei am berühmten Holstentor. Wer weiß: Vielleicht wirbt Lübeck eines Tages nicht nur mit seiner Altstadt, mit Marzipan und Hanse, sondern auch mit seinen großartigen Landwegen.
von Lothar Schmitz
erschienen in: BANKSPIEGEL (Magazin der GLS Bank) 1/2019
(Quelle: https://blog.gls.de/bankspiegel/bs-2019-1-landwege/)